1995
6. EuropaAbend mit
Dr. Ruud Lubbers
„Gedanken zum künftigen
Kurs der Europäischen Union“
Die rund 300 Gäste des 6. EuropaAbends am 8. November 1995 konnten wieder einmal gespannt sein auf einen hochkarätigen und einflussreichen Europäer. Mit Rudolphus Franciscus Marie, genannt „Ruud“, Lubbers hatte sich der Ministerpräsident a. D. des Königreichs der Niederlande angesagt, der von 1982 bis 1994 im Binnenhof in Den Haag (siehe Foto oben) residierte. Er machte sich „Gedanken zum zukünftigen Kurs der Europäischen Union“. Dr. Lubbers mahnte die Zuhörer, in Bezug auf Europa nicht zu pessimistisch zu sein und die Vertrauensbasis in Europa nicht zu verlieren, „sonst verliert man Europa“.
AGA-Präsident Dr. Uwe Mehrtens beschäftigte sich in seiner Eingangsrede intensiv mit der Währungsunion: „Allerdings haben Unsicherheit und Verwirrung über die möglichen Auswirkungen einer Währungsunion eher zu- als abgenommen. Der Verdacht, dass politische Gesichtspunkte zunehmend schwerer wiegen als ökonomische Vernunft, erhärtet sich. Über die Bezeichnung der Währung, das Aussehen von Noten und Münzen und deren Stückelung haben hochkarätige Ministerrunden beraten, allerdings mit mäßigem Ergebnis. Eine ECU ist ein synthetisches Wort und ein EURO ist sprachlich die Verkrüppelung des Wortes ‚Europa? oder ‚europäisch‚?. Für mich ist es aber als Kaufmann wesentlich wichtiger, wenn Banker – auch solche aus großen Instituten, die sich öffentlich für die baldige Einführung der einheitlichen Währung einsetzen, hinter vorgehaltener Hand äußern, die europäische Währung werde eine Weichwährung sein. “
Den Vorwurf, ein Anti-Europäer zu sein, wenn man sich kritisch über die geplante Währungsunion äußert, wollte Dr. Mehrtens nicht gelten lassen: Dem möchte ich für mich persönlich und für den AGA ausdrücklich vorbeugen: „Wir sind für die Weiterentwicklung der Europäischen Union, wir sind auch für eine gemeinsame Währung. Aber wir sind gegen eine falsche Reihenfolge. Um es an einem Beispiel aus der Bauwirtschaft deutlich zu machen: Es ist wenig sinnvoll, beim Bau eines Hauses mit dem Dach und der Inneneinrichtung zu beginnen, bevor dauerhaft tragende, stabile Fundamente da sind. Nach unserer Auffassung sind bei einem so ungeheuren Experiment, wie es die unumkehrbare Schaffung einer einheitlichen Währung nun einmal darstellt, noch zu viele fundamentale Fragen offen.“
Starke Worte, sowohl von Dr. Lubbers als auch Dr. Mehrtens, über die noch viel und lange an den Tischen diskutierte wurde. Und es sollte noch lange dauern, bis das Wort „Euro“ allen flüssig über die Lippen kam. Erst vier Jahre später wurde er als Buchgeld eingeführt, sieben Jahre später als Bargeld.